Fischerei und Fischzucht auf den Kanaren

Schrumpfende Bestände der meisten Wildfische führten vor nicht langer Zeit zum Niedergang der traditionellen Fischerei auf den kanarischen Inseln. Seither war man bemüht, eine Alternative zu finden und mittlerweile ist eine boomende Fischzuchtindustrie entstanden, deren Erträge den Export ankurbeln. Mit massiven Subventionen wurde ein Wirtschaftszweig kreiert, der laut Regierung effektiv und v.a. umweltfreundlich arbeitet.

Aber ist das wirklich so? Mit diesen Hintergrundinformationen möchte MEER e.V. einmal mehr eine kritische Stimme erheben. Denn die (negativen) Auswirkungen von Fischzuchtanlagen auf die natürliche Umwelt sind nicht zu unterschätzen, im Falle der Delfine sind sie längst bekannt. Dennoch deuten alle Pläne darauf hin, dass auf vor La Gomera bald die ersten Betriebe eingerichtet werden…

Dürftige Erfassung der kanarischen Erträge

Fischzuchtanlage vor Teneriffa. © V. Boehlke

Schon im Jahr 2005 alarmierten Berichte über einen regelrechten Zusammenbruch der traditionellen Fischerei der kanarischen Inseln bei gleichzeitigem massiven Ausbau der Fischzucht die Umweltschützer. Es hieß, die traditionelle Fischerei sei um 85 Prozent gesunken, wohingegen die Fischzucht mit jährlichen Wachstumsraten von mehreren hundert Prozent einen enormen Boom erlebte verzeichne.

Auf die Anfrage des M.E.E.R. e.V. bei Universitäten, Fischereiinstituten und der kanarischen Regierung nach der generellen Entwicklung der Fischerei konnte uns damals überraschender Weise niemand genaue Auskunft geben. Das liegt daran, dass es keine allgemeine Erfassung der Fischfänge auf den Kanaren gibt. Dieser Umstand begründet sich u.a. in der Tradition, dass Fischer ihren Fisch oft direkt an Restaurants verkaufen, sowie einer negativen Grundhaltung gegenüber jeglichen Kontrollversuchen. Inzwischen ist zwar ein effektives Kontrollsystem in begrenztem Maße gestartet worden, bis zur geplanten Erfassung aller Anlandungen wird aber noch viel Zeit verstreichen. So viel ist jedoch klar: praktisch sämtliche der begehrten großen Hochseearten wie Tunfisch, Schwertfische, etc. stark überfischt sind. Um viele küstennahe Arten ist es nicht viel besser bestellt, wenngleich es auch hierüber nur in sehr begrenztem Umfang Untersuchungen gibt. Sportfischer, die u.a. auch mit (illegalen) Harpunen fischen, werden hier allgemein als Problem angesehen. Und schließlich gilt der Hafen von Las Palmas auf Gran Canaria als der größte Umschlagplatz von illegal gefangenem Fisch in Europa.

Fischzucht boomt auf den Kanaren

Gezüchtete Goldbrassen. © V. Boehlke

Heute, fünf Jahre später, hat sich der Trend zur Fischzucht deutlich bestätigt. Die Branche boomt und ist derzeit auf Teneriffa, Gran Canaria und Lanzarote aktiv vertreten, wobei die Mehrheit der Betriebe (23) auf Teneriffa zu finden sind. Für alle anderen Inseln bestehen konkrete Planungen.

Schätzungen gehen von einer jährlichen Gesamtproduktion von 10.000 t aus, was etwa der Hälfte der gesamten Fischerei der Kanaren entspricht. Dabei werden derzeit fast ausschließlich Goldbrasse und Wolfsbarsch gezüchtet. Diese können das ganze Jahr über produziert werden und werden innerhalb von ca. 13-14 Monaten auf „Marktreife“ gebracht, das ist deutlich schneller, als man z.B. im Mittelmeer dafür braucht. Die guten Temperaturbedingungen und die relativ gute Wasserqualität sind in diesem Sinne wertvolle wirtschaftliche Vorteile und tragen zur Konkurrenzfähigkeit der kanarischen Aquakultur bei. Kanarischer Zuchtfisch wird mittlerweile in viele EU-Länder exportiert, eine Tatsache, die man natürlich gerne sieht. Entsprechend positiv ist die Einstellung zur weiteren Entwicklung und entsprechend üppig fließen daher auch die Subventionen.

Umweltprobleme nicht von Belang?

Mögliche Gebiete für Fischzuchten vor La Gomera (orange)

Die kanarische Regierung hat einen detaillierten Plan aufgestellt (PROAC=Plan Regional de Ordenación de la Acuicultura de Canarias), der auch acht Gebiete um die Insel La Gomera herum für Fischzucht-tauglich erklärt (siehe Abbildung, Quelle: www.gobiernodecanarias.org). Die ehemals ablehnende Haltung der Inselregierung von Gomera hat sich mittlerweile gewandelt. Und die ist entscheidend, denn die Lizenzierung neuer Anlagen ist der jeweiligen Inselregierung vorbehalten. Es scheint im Moment nur eine Frage der Zeit, wann die ersten Fischzuchtanlagen vor La Gomera auftauchen.

Von offizieller Seite wird beteuert – und selbstverständlich liegen hierfür ausreichend Gutachten vor! – dass Aquakultur ökologisch unbedenklich ist und man alles dafür tut, die Umweltrisiken so gering wie möglich zu halten. Beim genaueren Hinsehen stellt sich aber heraus, dass es mit der ökologischen Unbedenklichkeit nicht so weit her ist.

Fischzucht ist nie unbedenklich!

Großer Tümmler inmitten einer Anlage

Zunächst sind da die gezüchteten Arten Wolfbarsch und Goldbrasse. Beide Arten kommen natürlicherweise nicht auf den Kanaren vor. Fische, die aus beschädigten oder zerstörten Käfigen entkommen, besetzen in der Natur die ökologischen Nischen der einheimischen Arten, mit unbekannten Folgen für das Ökosystem, auch wenn sie sich langfristig kaum fortpflanzen werden können.

Das Mästen des Zuchtfisches mit konzentrierten Futtermitteln und die Behandlung mit Antibiotika als Vorsorge gegen Krankheiten und Epidemien hat logischerweise Auswirkungen auf die Wasserqualität in der Umgebung der Fischzuchtkäfige. Da die Strömungen im Bereich der Kanaren meist recht groß sind, wird argumentiert, die kontinuierliche Vermischung sorge dafür dass es keine Anreicherungen in der Umwelt gibt (und der Einsatz von Antibiotika sei nicht notwendig). Jedoch ist dies ein Scheinargument, denn es folgt nur der Logik „Aus den Augen, aus dem Sinn“. Und natürlich sind Fischzuchten eine Attraktion für wilde Fische, die schnell lernen, wo es Futter gibt. Wo sich aber viele Fische tummeln, sind die Räuber nicht weit…

Die Lage auf den Kanaren

Wildfische außen an den Netzen. © V. Boehlke

Bei einer Inspektion der Fischzuchtanlagen vor Los Gigantes (Teneriffa) konnten wir Große Tümmler dabei beobachten, wie sie in der Nähe der Fischkäfige auf Nahrungssuche waren. Dies ist mittlerweile ein gewohnter Anblick. Erhebliche Mengen von Futtermitteln gelangen ins freie Wasser, Grund genug für Wildfische sich um die Anlagen herum konzentrieren. Die Delfine nutzen diese Tatsache dazu, sich leicht zu erbeutende Nahrung zu verschaffen. Das ist sehr beunruhigend, da das natürliche Jagdverhaltens verloren gehen kann, weil z.B. Jungtiere nur noch die erlernten einfachen Strategien verfolgen. Die Integrität der natürlichen Delfinpopulationen wird also massiv geschädigt.

Hinzu kam vor Teneriffa das Problem, dass Fischer und Touristen damit begannen, Delfine aktiv zu füttern. Zusätzlich fahren viele Whale Watching-Boote regelmäßig zu den Fischzuchten, weil dort so verlässlich Delfine zu beobachten sind. Es entstand also eine ganze Kette von Nebenwirkungen.

Immerhin ist die Vergabe von Lizenzen für Fischzuchtanlagen inzwischen an die Vorgabe gebunden, Delfine nicht mehr direkt zu füttern. Auch müssen Whale Watcher mittlerweile einen Mindestabstand zu den Anlagen einhalten. Man kennt also die Problematik. Dennoch geht der ausführliche „Nachhaltigkeitsbericht“ der kanarischen Regierung zum PROAC (siehe Link unten) auf die bestehenden EU-Schutzgebiete nur erstaunlich kurz ein. Im Hinblick auf die Auswahl der Aquakultur-Standort mit Bezug auf Meeressäugern heißt es lapidar, dass „die Routen der Tiere so detailliert wir möglich werden bekannt sein müssen“. Wie dies indes geschehen soll, wird nicht spezifiziert. Dies erscheint vor dem Hintergrund, dass viele (EU) Gelder und jahrelange Forschungen investiert wurden, um den Status von Großen Tümmlern im Archipel zu verbessern, als viel zu wenig.

Handlungsempfehlungen des MEER e.V.

Unseres Erachtens werden die Auswirkungen der Fischzucht auf Delfine im wesentlichen übergangen bzw. nicht ernsthaft in Erwägung gezogen. Hier muss dringend nachgebessert werden. Die Handlungsempfehlungen des M.E.E.R. e.V. in Hinsicht auf die Einrichtung von Fischzuchtanlagen vor La Gomera lauten daher:

  • Zunächst keine Fischzuchtanlagen im Süden und Südwesten La Gomeras, dem bekanntermaßen wichtigen Habitat für küstennah lebende Delfine.
  • Keine Anlagen innerhalb von Schutzgebieten nach der EU Habitat-Richtlinie („Natura 2000“).
  • Kontinuierliche Dokumentation der Bewegungen von Meeressäugern im Gebiet um die Anlagen sofort nach der Einrichtung der ersten Anlagen.
  • Erprobung von Mitteln zur Fernhaltung der Delfine von Fischzuchtanlagen.
  • Erarbeitung eines Managementplans zum Thema „Aquakultur und Meeressäuger“ unter Einbezug der bekannten Auswirkungen auf die Meeressäuger.

 

Link

„Nachhaltigkeitsbericht“ der kanarischen Regierung:

2014 – 2020: PEACAN (Plan Estratégico de la Acuicultura en Canarias)