Kostete moderne Sonartechnik 17 Walen das Leben?
Pressemitteilung des M.E.E.R. e.V. / GRD
Berlin, 01.10.2002
Nach der Massenstrandung von Schnabelwalen auf den Kanarischen Inseln mehren sich die Zeichen dafür, dass eine NATO-Übung für das Walsterben verantwortlich ist. mehr …
Kanarische Inseln/Berlin. Nach dem Massensterben von Schnabelwalen auf den Kanarischen Inseln Fuerteventura und Lanzarote üben Umweltschützer, darunter M.E.E.R. e.V. und die Gesellschaft zur Rettung der Delphine (GRD), massive Kritik am Einsatz von Sonartechnik in Gebieten mit hohem Walaufkommen und machen die NATO-Manöver für die Katastrophe verantwortlich.
Am 24. September strandeten in den frühen Morgenstunden 15 Schnabelwale an den Stränden der Ferieninseln Fuerteventura und Lanzarote. Im selben Gebiet fand zeitgleich ein groß angelegtes Manöver der NATO statt, bei dem auch Sonartechnik von enormer Schallstärke eingesetzt wurde. 58 Schiffe, 6 U-Boote, 30 Flugzeuge und 9000 Soldaten waren an dem Manöver beteiligt. Inzwischen strandete ein weiteres Tier, und eines wurde tot im Meer treibend gefunden. Experten der Universität La Palmas de Gran Canaria äußerten als erste den Verdacht, dass ein direkter Zusammenhang besteht. „Die Tiere sind durch die Frequenzen orientierungslos geworden, möglicherweise liegen auch direkte Schädigungen des Orientierungssinnes vor“, hieß es von Seiten der Fachleute. Die Kanarische Regierung hatte die NATO kurz nach dem Bekanntwerden der Massenstrandung aufgefordert, das Manöver umgehend zu stoppen. Die veterinärmedizinische Untersuchung der toten Tiere ergab inzwischen, dass mehrere Wale Blutungen im Gehirn und im empfindlichen Innenohr aufwiesen, die möglicherweise durch die starke Schalleinwirkung entstanden sind. Das Militär streitet jedoch bisher jeglichen Zusammenhang ab.
Die jetzige Massenstrandung ist indes nicht das einzige Vorkommnis dieser Art. Bereits sechs mal seit 1985 kam es zu Massenstrandungen auf den Kanarischen Inseln, und in vier Fällen war zeitgleich eine erhöhte militärische Aktivität verzeichnet und ein Zusammenhang mit dem Tod der Wale vermutet worden. Ähnliche Fälle ereigneten sich außerdem 1998 auf den Bahamas und im Jahr 2000 auf Madeira. Der Fall auf den Bahamas erregte große Aufmerksamkeit, da es wie im aktuellen Fall auf den Kanaren eine enge zeitliche Verbindung zwischen militärischen Aktionen und den Strandungen gab. Nach intensiven Studien von unabhängigen Wissenschaftlern strengte auch die Navy eigene Untersuchungen an.
Inzwischen hat sie, nach ursprünglichen Abstreiten jeglicher Zusammenhänge, eine Schuld am Tod der Wale eingestanden. Die Beweise waren so erdrückend, dass selbst die einflussreichen Kreise des Militärs nicht um die Anerkennung des Zusammenhangs umhin kamen. „Auch beim aktuellen Fall auf den Kanaren wird es für die NATO sehr schwierig werden, sich aus der Affäre zu ziehen. Die Aufmerksamkeit ist enorm groß und der Verdacht liegt nahe, dass die Wale tatsächlich durch die enorme Lärmbelastung geschädigt wurden“ meint Fabian Ritter, Diplombiologe des M.E.E.R. e.V., der seit Jahren die Wale und Delphine der Kanaren erforscht. „Wahrscheinlich geraten die Schnabelwale, die sehr sensibel auf Schall reagieren, dermaßen in Panik, das sie sich nicht anders zu helfen wissen, als ihr angestammtes Element zu verlassen. Dass einige Wale noch lebten, als man sie fand, spricht für diese Vermutung“ so der Biologe.
Die Befürchtung der Kanarischen Regierung ist groß, dass dieser Vorfall das Image der Inseln als Urlaubsparadies schädigt. Die Kanarischen Inseln sind eines der Top-Touristenziele weltweit. Hier gilt die Natur als noch intakt und die atemberaubende Schönheit der Inseln zieht alljährlich zig Millionen Menschen an. Die Kanaren sind auch bekannt für ihr reiches Vorkommen an Walen und Delphinen. Ganze 26 Arten wurden hier schon gesichtet, unter ihnen mehrere Schnabelwalarten, aber auch Delphine und Großwale. „Und dennoch steht es um den Schutz der Wale und Delphine hier nicht gerade gut“ betont Fabian Ritter vom M.E.E.R e.V.. Neben den tragischen Fällen von Massenstrandungen besteht eine ganze Reihe weitere Gefahren: unkontrollierter Walbeobachtungstourismus führt z.B. vor Teneriffa zu einer enormen Dauerbelastung der hier ansässigen Populationen. Hinzu kommen die Schnellfähren, die immer öfter eingesetzt werden. Hier kam es in der Vergangenheit wiederholt zu Kollisionen, die meist tödlich für die Tiere enden und auch für die Fährpassagiere eine Gefahr darstellen können.
„Die Artenvielfalt der Wale und Delphine auf den Kanaren ist einmalig. Das gesamte Archipel sollte zum Walschutzgebiet erklärt werden“, so der Biologe weiter. „Dann werden solche Vorkommnisse wie die aktuelle Massenstrandung der Vergangenheit angehören und dringend notwendigen Maßnahmen endlich zum effektiven Schutz der Tiere beitragen“.