13 Dez

Öl-Rausch vor den Kanarischen Inseln

Ausverkauf eines Inselparadieses?

Eine Analyse von Dipl.-Biol. Volker Böhlke, M.E.E.R. e.V., Kanarische Inseln, Dezember 2014.

Auf die eine oder andere Weise bringt man Bohrungen nach Erdöl immer mit Umweltproblemen in Verbindung. Weil die Bohrtürme demnächst vor den weiten Stränden von Lanzarote und Fuerteventura erscheinen sollen, ist die Sensibilität besonders gross. So gibt es auch im Falle dieser angekündigten grössten spanischen Erdölvorkommen eine beträchtliche Kontroverse, bei der die Befürworter – grösstenteils vom spanischen Festland – der kanarischen Bevölkerung gegenüberstehen, zu denen in diesem Fall auch die Kanarische Regionalregierung zu zählen ist. Es ist aber fraglich, welchen Aspekt in diesem Prozess man in den Vordergrund stellen sollte. Zu vielfältig sind die Implikationen, zu interessant und für europäische Strukturen und Prozesse beispielhaft und leicht lesbar ist die Geschichte. Letztlich kann man zwei grosse Bereiche ausmachen: Wirtschaftsmacht und Probleme mit der Demokratie sowie Probleme mit der Umwelt, die allerdings miteinander verschachtelt sind und die vielleicht nur durch die Entstehungsgeschichte der Bohrerlaubnis verständlich werden.

1) Wirtschaft & Demokratieverständnis („Hier leben wir, hier entscheiden wir“)

Potenzielle Ölfördergebiete und Schutzzonen überlappen sich

Man könnte ein Buch darüber schreiben, dass und wieso die regionale (kanarische) Bevölkerung nichts zu melden hat, wenn es um wirtschaftliche Interessen überregionaler staatlicher Ordnung geht. Der Abbau von natürlichen Ressourcen gehört tatsächlich zu den staatlichen Kompetenzen. Wenn aber die Betreiber auf alle erdenkliche Weise die positiven Seiten beschönigen und die negativen Folgen unter den Teppich kehren, klingt das faul und es ergibt sich ein von Seiten kanarischer Politiker gerne propagierter Kolonialismus.
Private Interessen. Dabei führen kritische Geister an, dass die „staatlichen“ Interessen möglicherweise keine sind, da das zukünftig ölfördernde Unternehmen Repsol zu 70% aus beweglichen Investitionen besteht und einige der führenden spanischen Politiker auch Aktionäre sind, darunter der ehemalige Umweltminister und jetzt Europarat für Energie und Klima Miguel Arias Cañete (der seine Aktien erst kürzlich verkauft hat, als er zur EU berufen wurde). Die anderen 30% des Unternehmens gehören Großteils Investoren aus dem Ausland, dem Bauunternehmen Sacyr Valle Hermoso (ausgerechnet von meiner Insel La Gomera) und der La Caixa-Bank.

Steuern aus Öl=Einkünfte für den Staat?

Bohrschiff © Ministerio de Defensa de Espana

Die großen Ölunternehmen führen mittels Internationaler Gewinnverschiebungen zum Teil nur sehr wenig Steuern ab, Exxon Mobil Spanien schafft es etwa, auf einen Gewinn von knapp 10 Mrd. Euro (El País, 27.02.2011) in zwei Jahren, keinen einzigen Euro Steuern zu zahlen. Repsol brachte es 2010 auf 60 Mrd. Euro Gewinn weltweit und zahlte in Spanien 949 Millionen Euro Steuern (siehe hier). Zudem werden die Steuern für Erdölgesellschaften in Spanien nach einer unter unserem Wirtschaftsminister Soria durchgewinkten neuen Gesetzesentwurf 2015 von 35 auf 33% gesenkt und 2016 auf 30% verringert. Bleibt da unter dem Strich ein positiver Betrag für den „Staat“, für alle Bürger?

Gewinne für die Kanaren? Trotz der grossen Geschäfte, die vor Ihren Küsten gemacht werden sollen, dürfte kaum Geld auf den Kanaren bleiben. Sie haben sich dafür aber mit den möglichen Umweltproblemen herumzuschlagen. Der spanische Industrieminister Soria (kurioserweise aus Gran Canaria) hält dagegen, die Kanaren würden mindestens 300 Millionen Euro jährlich aus dem Erdölabbau erhalten, wenn man, wie z.B. in Italien, 8% Sondersteuer auf die Gewinne der Erdölgesellschaft erheben würde. Der Witz dabei: ein entsprechender Erlass oder das zugrunde liegende Gesetz müssten erst noch entstehen. Dies bleibt vor dem Hintergrund der generellen Erleichterungen für Erdölgesellschaften natürlich zweifelhaft. Natürlich kommt das Gespräch auch immer wieder auf die 4.000 Arbeitsplätze, die geschaffen werden können, während die möglichen negativen Auswirkungen auf den Hauptarbeitgeber Tourismus nur von den kanarischen Gegnern erwähnt werden.

Die Meinnung der Bevölkerung ist nicht gefragt noch darf sie kundgetan werden. Es bleibt offen, ob auf den Kanaren die politischen und wirtschaftlichen Interessen der Bevölkerung hochgehalten werden, oder ob eine Minderheit bevorzugt wird. Eine Meinungsumfrage zu den Bohrungen innerhalb der kanarischen Bevölkerung wurde von der Regierung kurzerhand als gesetzeswidrig bezeichnet und vor Gericht gebracht. Das Verfassungsgericht muss am Ende entscheiden, ob die Kanaren abstimmen dürfen, ob sie „den Dreck wegmachen“ wollen. Bis dahin dürfen die Bohrungen weitergehen, und auch sonst wäre die Abstimmung nicht relevant.

Eine von der Kanarischen Regierung in Auftrag gegebene Umfrage unter 2.700 Anwohner hat ergeben, dass etwa 75% der Einheimischen gegen die Bohrungen sind. Da wundert es nicht, dass 18.10.2014 in allen Hauptstädten der Kanaren etwa 70.000 Bürger auf die Straße gingen, um unter dem Motto „Hier leben wir, hier entscheiden wir“ ihren Unmut kund zu tun.

2) Umweltproblematik

Vorgeschlagenes Walschutzgebiet © WWF

Kaum zu glauben, aber die möglichen Folgen einer Ölpest für die Umwelt wurden leider in der Politik wenig debattiert, sie werden soagr ob der „extrem geringen Wahrscheinlichkeit“ (Umweltverträglichkeitsprüfung, UVP) gar nicht erst erwähnt.

Zu erwartende Umweltprobleme. Der Unterwasserlärm, Schlamme und andere Sedimente aus der Bohrtätigkeit und der erhöhte Schiffsverkehr bei den Bohrungen und beim Betrieb der Förderung schädigen die Fauna: Wale und Delfine können durch den Unterwasserlärm aus dem Gebiet vertrieben werden. So verlagern die Wale ihre Migrationsrouten bis zu 27 km weit, um die direkte Nähe der lärmenden Plattformen zu meiden. Unter anderem deshalb will der WWF nun ein Walschutzgebiet in direkter Nähe einrichten. Die kanarischen Walforschungsgruppen SECAC und CEAMAR haben in einer im Oktober 2014 durchgeführten Studie das Gebiet der Bohrungen als sehr sensible Zone dargestellt: Es gibt eine möglicherweise ortstreue Grindwal-Population, extrem grosse Tümmlergruppen von bis zu 150 Tieren und eine hohe Dichte Unechter Karettschildkröten.

Der Abbau des Erdöls soll nach dem folgenden Prinzip (dem Fracking nicht unähnlich stattfinden, ein Gemisch aus verschiedenen Chemikalien soll das Öl und das Gas aus den Ablagerungen drücken. Nach einer Studie der Unesco wird es grosse Probleme mit Schwermetallen wie Quecksilber, Cadmium und Chrom bei der Verpressung mit kompaktierenden Schlämmen beim Beginn der Bohrung geben, die Auswirkungen können 5-90 km weit reichen. Weitere potenzielle Folgen: Korallen wachsen langsamer und überleben in geringeren Raten, Krebstiere ersticken bei der Präsenz von Erdöl, Schalentiere dürften nicht mehr konsumiert werden. Die Lichter auf den Plattformen verwirren Vögel und führen häufig zu Kollisionen.

Unabwägbare Umweltprobleme oder Meeresschutz?

Die möglichen Folgen für die Lebewesen des Meeres im Falle einer Ölpest sind seit dem Unglück im Golf von Mexico noch allen geläufig. Kurioserweise wurde die Möglichkeit für einen solchen grösstmöglichen Krisenfall sehr gering eingeschätzt. Dabei hat sogar eine offizielle Instanz, das Cedex (Centro de Estudios y Experimentacion de Obras Públicas) schätzt das Risiko in einer vergleichbaren Probebohrung 100fach grösser ein als die UVP (0,3% statt 0,003%) und trat damit an die Öffentlichkeit.

Die Nähe zu einem der fünf ertragreichsten Fischereigründen der Welt vor der Küste Westafrikas und die Nähe zu den Kanaren mit ihrer grossen biologischen Vielfalt (29 Wal- und Delfinarten, die grössten Seegraswiesen innerhalb der Kanaren und seine Bedeutung als Durchzugsgebiet für Zugvögel) machen das Gebiet der Bohrungen zu einem würdigen Anwärter auf strikten internationalen Schutz, jenseits der Interessen von Erdölgesellschaften oder politischen Eliten, die den Nutzniessern sogar noch unter die Arme greift. Dieser Schutz sollte durch die Einrichtung verschiedener Schutzgebiete der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie ergänzt werden, deren Grenzen nur 11 km vor den Bohrgebieten liegen. Nachdem die spanische Regierung schon eine zu Beginn noch geplante Pufferzone dem Erdölvorkommen geopfert hatte, tat sich im Sommer die kanarische Regierung mit einem Versuch zur Beschneidung der Schutzgebiete von der Landseite hervor: Da verschiedene Bauprojekte für diesen Bereich geplant sind, solle man zur Küste hin einen Abstand von 3 km einhalten. Abgesehen davon wurde die Ausschreibung des Schutzgebietes genau bis zum Tag nach der Erteilung der Bohrerlaubnis zurückgehalten, was natürlich aufhorchen lässt – die Offenheit dieser Mauschelei lässt einem den Mund offen stehen.

3) Wie kam es zu der Lizenz?

Proteste wie kaum je zuvor (EFE/Elvira Urquijo A.)

Die erste Erlaubnis an Repsol wurde durch königliches Dekret 2001 erteilt – vorbei am Parlament und ohne Möglichkeit, Einspruch zu erheben. Sie wurde später durch das oberste Gericht zurückgezogen, weil die vom Gesetzgeber vorgesehenen Umweltauflagen nicht erfüllt wurden. Die spanische „Arbeiterpartei“ PSOE hat die Geschichte ruhen lassen, offenbar um den marrokanischen König nicht zu ärgern, der ebenfalls Erdöl in dem Gebiet fördern will. Die Regierungspartei PP unter Ministerpräsident Rajoy und mit Wirtschaftsminister Soria packen die Sache 2012 wieder aus. Das Projekt, nunmehr trotz als nicht kompensierbar eingestufter Fehler angepasst, soll Repsol mittlerweile alle Auflagen erfüllt haben. Schon geht es wieder vor das oberste Gericht. Denn die Umweltverträglichkeitsprüfung ist ein Desaster. Das 3.000 Seiten starke Dokument wurde zudem mitten in der Urlaubszeit präsentiert und es wurden nur wenige Tage gewährt, um Einwände zu erheben. Auf eine nachträgliche Forderung des Umweltministerin Arias Cañete an Repsol, verschiedene Punkte nachzubessern, kommt aus dem Umweltministerium in Fuerteventura der Kommentar, dass dort schon seit langem bemängelt wird, dass in der UVP viele Details fehlen und andere einfach vorenthalten wurden. Aber: Welche Dokumente zur Ausbesserung dieser Farce nachträglich eingefordert worden waren, wurde gar nicht erst bekannt gemacht.

Trotz nach der Katastrophe der Deepwater Horizon deutlich verschärften Leitlinien der Sicherheitstechnik, die auch von Repsol in Gewässern der USA befolgt werden, gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass diese neuen Leitlinien auch bei dem vorliegenden Projekt zum Einsatz kommen werden. Ausserdem wurde die in jeder UVP zu betrachtende Nullvariante gar nicht erst in Erwägung gezogen, da sie „uns nicht gestatten würde, das Gebiet wissenschaftlich in diesem Masse zu erkunden und da sie die möglichen Gewinne unmöglich machen würde“. Solche und ähnliche Formulierungen sorgen erneut für offene Münder bei den Wenigen, die sich die Mühe gemacht haben, das Dokument zu lesen.

Die kanarische Regierung hat kein Mitspracherecht

Die Rätin für Umwelt von Fuerteventura, Edilia Perez, beklagt sich dementsprechend nach einem Treffen mit Vertretern des spanischen Umweltministeriums, dass der Untersekretär des Industrieministeriums verhindert hat, dass ihr die Akten überreicht wurden. Er habe sich auch geweigert, die Dokumente zu nennen, die Repsol nachreichen musste. Damit hat selbst die kanarische Regierung keine Ahnung, was tatsächlich in der letzten Fassung der UVP steht und es gab auch keine Möglichkeit, Eingaben zu machen. Da wunderte es kaum noch, dass Ende Mai 2014 die positive Beurteilung der UVP (Estudio de Impacto), die Declaracion de Impacto, veröffentlicht wurde. Alles politsiche Aufbegehren der kanarischen Regierung, die Meinung der Bevölkerung und die zahllosen Protestaktionen hatten keinerlei Wirkung gezeigt.

4) Was kommt jetzt?

Mittlerweile ist die nächste Phase eingeleitet worden: Protest zur Verhinderung der Durchführung. Greenpeace hat sich und das Projekt mit einer grossangelegten Operation in die Medien gebracht, bei der eine Aktivistin verletzt wurde und nunmehr gegenseitige Strafanzeigen im Raum schweben. Eine ganze Flotte von kanarischen Booten kontrolliert dass „nichts Unvorhergesehenes“ passiert, jetzt allerdings aus sicherem Abstand von 1 km. Von Seiten der Betreiber wurde kein Monitoring der umgebenden Fauna angeordnet. So führt lediglich ein Beiboot mit 3 Personen die Beobachtung von Walen in einem Umkreis von 1 km durch: zwei wechseln sich tagsüber ab und eine Person, die nachts mit Unterwassermikrofon lauscht. Dazu werden seismografische Messungen durchgeführt, um mögliche Erdbewegungen ankündigen zu können. So sollen zumindest Katastrophen dieser Art in ihrem Risiko minimiert werden.

Meine Prognose: In zwei Monaten sollen die ersten Ergebnisse veröffentlicht werden. Dann werden die spanischen Politiker sich für die fetten Tauben des Erdöls und gegen Tourismus-Spatzen entscheiden. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass in diesem unserem System die Vorsicht walten wird, wenn nur der Gewinn absolut ignoranter Aktionäre zählt.